Seit den Anfängen der Schulzeit bekommen Kinder Hausaufgaben. So auch Adrian. Ich persönlich habe mich jedes Mal überwinden müssen, diese zu machen. Vor allem in Mathematik. Mit Schaudern blicken meine Professorin und ich auf meine sehr flache Karriere – praktisch eine Nulllinie bis in den unendlichen Raum – zurück.
Dank des Wunders der Genetik ist es uns Menschen möglich, Talente und Verhaltensweisen an unsere Nachkommen weiter zu geben. Neu in unserer Familie sind jedoch Adrians eselhafter Starrsinn und die Möglichkeit, sämtliche Hirnfunktionen beliebig abzuschalten.
Wie viel ist eins und eins?
Nicht selten werden simple Additionsübungen zur Zerreißprobe für unsere Beziehung. Schreiduelle, Beleidigungen, bis hin zu lebenslangen Verboten sämtlicher Unterhaltungsmedien.
Trotz meines besonnenen, verständnisvollen Charakters reichen oftmals meine Nackenhaare bis zum Gehsteig. Mit Atemübungen oder kurzen Spaziergängen im Wohnzimmer finde ich meist wieder zu meiner Mitte und stelle mich wieder Fünf-plus-Drei.
Ich besorge allerlei Hilfsmittel – wie Lego®steine, gleichaltrige Bohnen oder gelbe Autos –, um ihm das Rechenbeispiel zu veranschaulichen.
Ich verschiebe, zähle laut mit und warte bis Adrian endlich das Ergebnis in sein Heft schreibt.
Mit gefalteten Händen flehe ich ihn an, er möge doch von Eins aufwärts zählen, bis ich „Stopp!“ sage. Bis Sieben hoffe ich, doch bevor mir das „Stopp!“ entweicht, ist Adrian bereits bei Neun.
Gute N8.
Ich brülle ihn an, was denn nach Sieben käme, doch er sagt nur, dass er es nicht wüsste, da er ja um diese Zeit ins Bett ginge.
So originell ich diese Antwort unter anderen Umständen fände, aber aktuell muss ich mich darauf konzentrieren, dass uns nicht die Köpfe von den Schultern fliegen.
Ich kauere mich zu unser aller Sicherheit unter den Küchentisch und überlege, ob es denn eine seltene Variante der Dyskalkulie oder gar eine „Octophobie“ gäbe, und wie diese behandelbar sei.
Meine Frau kommt herein und sieht nach uns. Sie bemerkt, dass Adrian nur noch eine einzige Zahl fehlt, um seine Aufgabe zu beenden.
Sie fragt ihn, was „Fünf und Drei“ ist, und er sagt „Acht“.
Er schreibt es ins Heft, packt seine Schulsachen ein, und fragt sie, ob er jetzt spielen gehen dürfe.
Sie bemerkt mich wimmernd unter dem Tisch und lächelt mir zu.
Acht Minuten später stehe ich auf und freue mich schon auf die Minusaufgaben.
THOMAS & ADRIAN VITZTHUM #9