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#09: BAD ISCHL: Ober gegen Unter

Autor: RUDOLF PREYER

"bisher unveröffentlicht"

Kulturhauptstad Bad Ischl: G’scherte vs. Großkopferte

In der Region vermissen die Einheimischen seitens der Kulturveranstalter eine Wertschätzung gegenüber den heimischen, natürlich gewachsenen Traditionen. Über ein mediales, ein Kulturkampf- und vor allem über ein Phänomen, dass enormes Enttäuschungspotenzial – weiterhin – bereithält.

 

Im Grunde handelt die Erzählung von der – umständlich etikettierten – „Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024“ von der traditionellen und überaus tauglichen Distinktion von „die da oben“ gegen „die da unten“.

 

Gemäß dem Wunsch der European Capitals of Culture (ECOC), einer Initiative der Europäischen Kommission, soll das heurige Jahr ganz im Eindruck der drei Europäischen Kulturhauptstädte stehen – das sind Bodø in Norwegen, Tartu in Estland und eben Bad Ischl, stellvertretend für die „Kulturhauptstadt-Region“, wie diese Mercedes Echerer in ihrer Moderation des Eröffnungs-Abends am 20. Januar 2024 bezeichnete.

 

„Primitive und rückständige Eingeborene“

Erinnern wir uns an die Vorgeschichte, wo es freilich schon nach der Zuerkennung an den „Kurort mit kaiserlicher Vergangenheit“ turbulent zuging. So wurde der im Oktober 2020 als künstlerischer Leiter angetretene Stephan Rabl nach nicht einmal einem halben Jahr von den Gesellschaftern einstimmig „gegangen“. Über Einzelheiten wurde Stillschweigen vereinbart, im Chat-Forum des Standard wird ihm etwa „autoritäres Auftreten“ nachgesagt.

Auch seine Nachfolgerin in der Intendanz, Elisabeth Schweeger, wurde zwar nicht gerade mit Vorschussvertrauen bedacht („die Grosskopferte aus Wien“), als ihre Programmabsichten aber ruchbar wurden, regte sich erst recht regionaler und lokaler Widerstand: „Was die Dame vorhat, hat nichts mit uns zu tun“, so der Succus der Stimmen der „Salzkammergütler“ (Copyright Schweeger), die der Neo-Intendantin nachsagten, sie pauschal als „primitiv und rückständig“ zu verstehen, wie es in einem Kommentar auf Facebook heißt.

Laut Buchhändler Alexander de Goederen spricht Schweeger pejorativ von den „Eingeborenen“ (siehe Servus-TV-Reportage „Streit im Salzkammergut – Der holprige Weg zur Kulturhauptstadt“, ausgestrahlt am 10.1.2024).

 

Das Tischtuch war also bald zerschnitten, schlimmere Befürchtungen erfüllten sich bereits im Eröffnungsmonat.

 

Ehrgeiziges Budget – bis dato nur zum Teil gesichert

Was die Finanzierung anbetrifft: Laut Servus-Reportage erhalte die Betreibergesellschaft „KHS“ 11,1 Millionen Euro vom Bund, dieser Betrag werde auch zusammen von den Bundesländern Oberösterreich und Salzburg aufgebracht. Von der EU wiederum sollen in Summe 4,5 Mio. Euro stammen. An Sponsorings möchte man - zumindest - 1 Mio. Euro lukrieren, ebenso tragen die 23 teilnehmenden Gemeinden mit dieser Summe bei. In toto möchte man durch Sponsoring und Querfinanzierungen auf ein Gesamtbudget von 30 Mio. Euro kommen, gesichert seien laut KHS derzeit nur 25 Mio. Euro.

 

Davon sollen rund 15 Mio. Euro auf das Programmbudget entfallen, der Rest von 10 Mio. Euro werde für Personal, Verwaltung etc. veranschlagt. 50 % des Programmbudgets, also 7,5 Mio. Euro, seien für Projekte aus dem Bewerbungsbuch reserviert. Sprich: Programmatisch ist eine „Quote“ vorgesehen, wonach auf einen inländischen/„dasigen“ Künstler bzw. ein heimisches Kollektiv ein ausländischer Künstler bzw. eine auswärtige Gruppe kommt.

 

Kein Draht zur Bevölkerung

Und selbst, wenn Schweeger immerzu darauf besteht, dass sie eine „Europäische“ Kulturhauptstadt verantwortet, fällt einem mit Blick ins Programm auf: Unter den eingeladenen Künstlern sind auch Japaner, Chinesen (Konzeptkünstler Ai Weiwei etwa), Afrikaner usw. Kurzum: Künstler aus der ganzen Welt werden im Laufe dieses Jahres eingeflogen werden.

In diesem Zusammenhang weist der Industrielle Hannes Androsch auf das „exotisch globale Programm“ hin, dass eher auf eine „Globale Kulturhauptstadt“ denn auf eine Europäische verweise, aus diesen und anderen Gründen sei er schon vor geraumer Zeit aus dem vorgelagerten Komitee ausgetreten. Schweeger, die voraussichtlich nach dem KHS-Jahr in den Ruhestand treten wird, kontert mit: „Wir müssen lernen, das Fremde zu akzeptieren.“

 

Und so, weil einige Gemeinden des Äußeren und Inneren Salzkammerguts erst gar nicht zur Teilnahme eingeladen wurden, hat sich mittlerweile mit „Soizkaumabessa“ ein Alternativprogramm herausgebildet – ein kulturelles Gegenprogramm quasi für den „Pool der Enttäuschten“.

 

Diese Selbsthilfe ist nur allzu verständlich, denn Schweeger beantworte Anrufe und E-Mails grundsätzlich nicht, so heißt es von vielen Ignorierten.

St. Wolfgang seinerseits trumpft mit einer speziellen Veranstaltung auf – und zwar mit dem Musical „Wolf – Das Mystical“ auf einer eigens errichteten Seebühne. Es erinnert daran, dass der Heilige Wolfgang vor 1.100 Jahren geboren wurde. Das Libretto verfasst der bekannte Literat Franzobel, die Musik komponiert der Südtiroler Gerd Hermann Ortler.

 

Schweeger bleibt süffisant dabei: „Schon kleine Kinder müssen lernen, dass ihnen nicht alle Wüsche erfüllt werden können.“

 

Zum Eröffnungsabend

Zum Eröffnungsabend reisten die Landeshaupt-leute Thomas Stelzer (OÖ) und Christopher Drexler (STM) an, seitens des Bundes Werner Kogler, Vizekanzler und Bundesminister für Kunst, Kultur, Öffentlichen Dienst und Sport, sowie Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer.

 

Alle Bad Ischler Kirchenglocken läuten und rund tausend Stimmen nehmen den Klang auf. Es wirkt so, als würde der gesamte Bad Ischler Kurpark erklingen.

Hubert von Goisern bestreitet den Anfangsteil der Show – für mich definitiv der einsame Höhepunkt.

 

Seine Jodler-Interpretationen setzt der tausendstimmige Volkschor auf der Bühne und im Publikum fort. Eindrucksvoll und berührend zugleich, ja: zum Weinen schön, bedankt sich Hubert von Goisern abschließend bei „allen, die in der Region leben“ und auch bei den angereisten „Kulturnomaden“.

 

„Zurückgekehrt ins Salzkammergut“ (Thomas Neuwirth ist gebürtiger Gmundner und entstammt einer Gastwirtsfamilie), irritiert darauf die internationale Ikone der LGBTQIA+-Community Conchita Wurst in einem schwarzen „Sissi-Abendkleid“.

 

Abschließend sorgt die Choreografin Doris „Ich öffne die Tanzfläche für Menschen mit körperlicher Behinderung“ Uhlich mit ihrem Ensemble für gewaltigen Unmut im Publikum, ihr „Pudertanz“ wirbelt unter dem Motto „Jeder nackte Körper ist schön“ im wahrsten Sinn des Wortes viel Staub auf – eindeutig zweideutig konnotiert, schütten sich die Performer auf der offenen Bühne Make-up-Puder über die zuckenden Leiber.

Auf Twitter häuften sich darauf die Negativ-Kommentare zur Ekel-Darbietung, wo es etwa hieß: „Woke sein macht das Hirn wirklich zu Gatsch.“

 

Und ein verbitterter Lokalredakteur postete auf MeinBezirk.at: „Hier wird die kulturmarxistische Aufweichung des ländlichen Raumes für ideologische Indoktrinierungsprojekte als Handlungsanleitungen im Sinne der richtigen Gesinnung angestrebt.“ Und weiter: „Bloße Freude am Geschaffenen, am Schönen tritt in den Hintergrund.“

 

Laut KHS besuchten rund 75.000 Kulturinteressierte das Eröffnungswochenende in Bad Ischl. Und welche Auswirkungen hat dieses wohl auf die „innere Kohärenz unser Gesellschaft“?

 

Was will uns der Künstler damit sagen?

„Kultur als das neue Salz?“ Aber: Wer wohl für „diese Kultur“ bezahlen möchte? Liebend gerne wahrscheinlich wohl die extra angereiste geldige Kulturschickeria aus nah und fern.

Schauen wir uns ein paar verstörende Kunstprojekte an, die den Bodenständigen ungespitzt in den Magen fahren werden.

Ai Weiwei etwa bietet mit „Resurgent Echoes“ eine „fesselnde Begegnung zwischen dem Marmorschlössl und einem original chinesischen Tempel“, wie es im Programmbuch heißt, dabei sollen „monumentale Tierkreisköpfe“ mit der Kaiservilla „in Austausch treten“.

Fast als Drohung ist „Salzkammerqueer“ schon zu verstehen: „Salzkammerqueer ist im Kulturhauptstadtjahr und darüber hinaus Anlaufstelle und Türöffner für ein neues Verständnis einer LGBTIQ*-Community in der Region.“

Das Kulturhauptstadt-Projekt in Bad Goisern wiederum wird von der Bevölkerung als Steuergeldvernichtung unter dem Deckmantel „Freiheit der Kunst“ verstanden: Im Goiserer Ortszentrum ließ Alfredo Barsuglia ein Wohnzimmer, jawohl: tatsächlich ein komplett ausgestattetes Wohnzimmer vergraben. Der Künstler wolle damit auf die Wegwerfgesellschaft aufmerksam machen.

 

Dieses Wohnzimmer soll nächstes Jahr, wenn das Kulturhauptstadtjahr längst passé sein wird, ausgegraben werden. Schweeger meint dazu, dass „wir“ ganze Kulturen verschwinden haben lassen, „meist aus politischem Eigensinn“.

 

Was also wollen uns die Künstler damit sagen? Desorientierungen, ja Verstörungen unter neugierigen „normalen“ Kulturinteressierten werden ihnen herzlich egal sein, denn: Wer sich über die üppigen Saläre beschweren möchte, kann ja gerne beim Salz-Amt anklopfen.

 

Am Ende: Aus „unten“ wird „oben“ (und umgekehrt)

Selbst Touristen, die sich von der „Marke Kulturhauptstadt“ anlocken haben lassen, werden höchstwahrscheinlich grob enttäuscht heimkehren: Links-grüne Großstadtkultur finden sie authentischer zu Hause.

Da nennenswerte Investitionen in kulturelle Infrastrukturen ausblieben, etwa die Renovierung des Lehár-Theaters, das trotzdem bespielt wird, werden im Salzkammergut nachhaltig lediglich die leeren Kassen bleiben.

Überdies lässt sich konstatieren: Viele regionale Kulturschaffende fühlen sich von der KHS ausgeschlossen. Bleibt letztlich zu fragen: Wieviel Avantgarde und Urbanität sind in einer Region mit ausgeprägtem Traditions- und Selbstbewusstsein überhaupt sinnvoll?

 

Die abschließende Frage lautet nunmehr: Wer und was wird sich auf lange Sicht als „oben“ bzw. „unten“ herausstellen? – denn klar ist: In den schönen Seen des Salzkammerguts werden Einheimische wie Gäste dereinst noch plantschen, während sich andere schon längst in den „Ruhestand von der Kultur-Szene“ verabschiedet haben.

Fotos-Copyright:

Doris Uhlich, Pudertanz, Oskar C. Neubauer

Opening, Hubert von Goisern, Henrieke Ibing