Rudolf preyer
Hiermit sei der Schlusspunkt meiner mittleren schreiberischen Periode verkündet.
Ein schonungslos offener Bericht aus der Werkstätte.
„Bis heute hat die Literatur die gedankenschwere Unbeweglichkeit, die Ekstase und den Schlaf gepriesen. Wir wollen preisen die angriffslustige Bewegung, die fiebrige Schlaflosigkeit, den Laufschritt, den Salto mortale, die Ohrfeige und den Faustschlag.“
In Wahrheit hat alles mit Filippo Tommaso Marinetti (1876-1944) begonnen. Und seinem Futuristischen Manifest (erstmals erschienen in: Le Figaro, Paris, 20. Februar 1909). Für mich, für viele zivilisierte Zeitgenossen – früher wie heute: „Lebens-Schwung“ auf dem Panier, referierte der zwei Tage vor Weihnachten 1876 in Alexandria als Sohn eines erfolgreichen italienischen Rechtsanwaltes geborene Marinetti auf den französischen Philosophen Henri Bergson (1859-1941), der 1907 den „élan vital“ propagierte, um neue ethische Werte zu schaffen und die Welt vor den „Zerstörungen der Barbarei“ zu bewahren. „Marinettis Einbrenn“ lautete daher: „Lang lebe die Gewalt gegen alles, was unser Leben hässlich macht!“
Dies zur Vorrede, dem geneigten Leser wird es nur folgerichtig erscheinen, dass meine Magisterarbeit am Institut für Philosophie der Universität Wien den Titel trägt: „Der Futurist schlägt zu: Die Ohrfeige im Futurismus unter besonderer Berücksichtigung des christlichen Backenstreiches“.
Akademische Müllhalde
Wirklich. Das ging anno 2009 – zum 100-Jahr-Jubiläum des Futuristischen Manifestes – noch als akademisches Thema durch. Erhältlich ist meine – erste und einzige – theoretische Arbeit beim VDM Verlag Dr. Müller: unvorsichtigerweise, weil allzu euphorisch ebendort auf jener „akademischen Müllhalde“ reycycliert bzw. verramscht.
Im Klappentext heißt es dazu: „Eine nietzscheanische ,Fröhliche Wissenschaft‘ sei hiermit begründet: Die „Alapalogie“ (Ohrfeige; klassischlateinisch: alapa, A-Deklination).“ Und weiter: „Auch der Heilige Augustinus trägt sein Schärfchen zur Etablierung der christlichen Gewalt bei; seine Exegese der berühmten Bergpredigtstelle (,die andere Backe‘) gab der Kreuzzugsbewegung erst seinen Sanktus.“
Genug der philisterhaften Besserwisserei und Sophisterei.
Woran ich mich noch erinnere
Von der frühen, meiner ersten schreiberischen Periode ist mir noch „Die Thury: Mit Gift und Feder“ erinnerlich.
Kurz gegoogelt, heißt es auf Amazon: „Die serbische Adelstochter Milica von Vukobrankovics steht in den letzten Tagen der Monarchie vor Gericht – ein versuchter Giftmord an der Gattin ihres Arbeitgebers, der Schwägerin von Kardinal Piffl, konnte ihr jedoch nicht nachgewiesen werden.
Wenige Jahre später zieht sie erneut das Interesse der Öffentlichkeit auf sich, doch im Verlauf des Prozesses gelingt es ihr abermals, die Schuld von sich zu weisen, auch diesmal war die Ehefrau ihres Chefs, des Verlegers Stülpnagel, nur knapp dem Gifttod entgangen.“
Puh! Starker Tobak also …
Wenn einmal die Geschichte Österreichs geschrieben wird
Nach einer Kerkerhaft wegen schwerer Körperverletzung erfindet sie sich neu – als Elisabeth Thury beginnt sie eine Karriere als politische Journalistin. Heimlich berichtet sie über das Rosenkranzfest 1938, wird dafür ins KZ Ravensbrück deportiert – und rettet später als Funktionshäftling zahlreiche Menschenleben. Wieder in Freiheit, beteiligt sich Thury an der Gründung der Austria Presse Agentur (APA).
Martin Haidinger von Ö1 hat mich interviewt. In einer Ankündigung heißt es: „Als ,die Thury‘ 1973 starb, flocht man ihr zunächst Kränze, schildert ihr Biograph Rudolf Preyer. An ihrem Grab hat der damalige Justizminister Broda gesagt: ,Wenn einmal die Geschichte Österreichs geschrieben wird, so wird auch verzeichnet sein, dass Elisabeth Thury ganz besonders und bedeutend für Österreich war.‘“
Meine 2010 in der – mittlerweile eingestellten – Edition Steinbauer erschienene Biographie ist nunmehr beim Heftiger Verlag (www.heftiger.at) zu bestellen – das ist im Übrigen: mein Verlag.
Mein mittleres Werk
Nachdem ich das Gefühl hatte: „Ich bin noch nicht mit der Thury fertig (bzw. sie noch nicht mit mir)“, habe ich den nur mehr antiquarisch erhältlichen Kriminalroman „Die Thury und der Lord: Kaschau-Kannibalen“ (Verlag Hofer) geschrieben.
Dafür habe ich mich eigens nach Kaschau, der zweitgrößten Stadt in der Slowakei, begeben. Die reale Elisabeth Thury ist ihrerseits extra dorthin gereist, um einen Kriminalfall rund um Zigeuner, wie sie damals noch ohne weiteres hießen, aufzuklären: diese sollen den Zivilisationsbruch des Kannibalismus begangen haben; ich machte mich sozusagen „auf Thurys Spuren“.
Antiquarisch ist auch nur mehr der Science-Fiction-Roman „Kaputte Triebe (bei Aavaa erschienen) erhältlich. An die Handlung möchte ich mich nicht mehr erinnern, breiten wir darüber den Mantel des Schweigens aus.
Die Kultur-Kampf-Trilogie
Die sogenannte „Kultur-Kampf-Trilogie“ (KKT) beschließt das mittlere Werk. Naheliegenderweise gibt es beim Personal, beim Setting sowie bei der Handlung Überschneidungen.
Jede Geschichte hat ihren Anfang, ihre Mitte und ihr Ende. In der KKT steht „Die letzte Immobilie“ (Heftiger Verlag) für den Anfang, „Fall und Aufstieg der Familie Gottmann“ (Antaios) bezeichnet die Mitte und die KK-Trilogie klingt mit „Das feuerrote Furzelein“ (Heftiger) aus und ab.
Ein Krimi als Sittenbild der Wiener Verhältnisse
Zum Erstling sollen nicht weitere Worte verloren werden als diese knackigen:
Die Immobilien-Branche ist im Aufruhr – dieser Schlüsselroman lässt keinen Stein auf dem anderen. Wer gemeint ist? Insider erkennen die Personen sofort!
Programmierter Skandal: Wahre Brutalität im Immobiliengeschäft findet nicht im Konferenzraum statt. Das Duell der Arminius-Gesellschaft gegen die Bösendorferstraßenbande wird tatsächlich auf einem Boden ausgetragen, der nicht entwickelt – sondern vergiftet – wird.
Was darauf – außer purem Hass – erbaut werden wird? Fest steht: Wer übrigbleibt, wirft seinem Kontrahenten keine Blumen ins Grab nach – sondern verscharrt seinen Feind im Fundament: des Decennium Towers jenseits der Donau.
Die letzte Immobilie ist ein Kriminalroman als Sittenbild der Wiener (Wirtschafts-)Verhältnisse.
Familie als „kleine Kampfgemeinschaft“
Die entzückende – und ach so treffende – Verlagsbewerbung lautet: Dies ist die kurzweilige Geschichte eines sehr bewegten Jahres im Leben der Familie Gottmann (Vater, Mutter, Sohn, Tochter), die leider ein wenig ramponiert ist, sich aber trotzdem wehrt (also: so richtig wehrt).
Ein fetziger Roman, absurd, rasant, voller Klischees! Die Gottmanns (Arztfamilie, typisches Wiener Bürgertum, Villa und Landhaus, moderner Wohlstand) sind auf Zack, sollen trotzdem ausgeraubt werden und müssen plötzlich schießen. Personal: Einbrecher 1 und 2 (schießen), Einbrecherin (schießt auch), Vater Gottmann (schießt und reanimiert), Mutter Gottmann (schießt auch), Tochter Gottmann (schießt auch), Sohn Gottmann (würgt).
Und sonst? Es wird geschossen, gefochten, gegrillt, tätowiert, geliebt, gedealt und gechattet – mal nichts Schweres halt.
Ein Textbeispiel gefällig?
Die Familie Gottmann hat sich – mit legalen und legitimen – Mitteln gewehrt: und genau deswegen sind sie heute noch am Leben. Ob es zu einem Verfahren gegen den Familienvater wegen Notwehrüberschreitung kommen wird, steht noch dahin.
Im Klartext: Unser täterfreundliches Strafrecht begegnet den Verbrechern viel zu milde. Sobald das Leben eines Menschen aber bedroht wird, hat der Täter keinen Anspruch mehr darauf, den Tatort unbeschadet verlassen zu können. Mir sind hundert erschossene Räuber lieber als ein schwerverletztes Opfer ihres Treibens.
Zum „Gottmann-Buch“ erklärt Götz Kubitschek in der Online-Sezession vom 26. April 2022: „Warum Antaios diesen Roman aus der Vielzahl an initiativ eingereichten, also nicht-angeforderten Manuskripten auswählte? Der Ton ist anders. Schabernack steckt darin, szenische Komik, die Figuren sind nicht eindimensional, sondern modern gebrochen in aller Sorglosigkeit einer institutionellen Zugehörigkeit, die es so wohl nur noch in Wien gibt, allenfalls in Ansätzen in München oder Hamburg – ganz sicher aber nicht in Berlin.“
Kubitschek schließt seinen Kommentar mit: „Der Roman hat etwas Lapidares, die Familie ist die ,kleine Kampfgemeinschaft‘, ohne daß dies benannt, überhöht, beschworen oder eindimensional notiert wäre.“
Dezenz ist Schwäche
Steigen wir gleich in eine Szene ein, in der das feuerrote Furzelein „dazwischenfunkt“.
Den Glühweinstand betrieben die Malteser, und die Einnahmen kamen einem karitativen Zweck zu Gute. Welchem? Wurscht!
[…]
„Operation Fremdfurzer!“, triumphierte Gottmann.
Er legte die Öffnung seines feuerroten Furzeleins in die Handfläche – und drückte es fest zusammen.
Sogleich schauten die Cousins den Typen vom Nebentisch, den mit der Barbour-Jacke böse an – und schüttelten den Kopf. Gleich drehten sie sich wieder zueinander, und tuschelten.
[…]
„Ihr ward das!“, kam der Barbour-Jacken-Typ auf sie zu, im Pulk hatte er seine Aristo-Freunde von den Nebentischen mitgebracht.
[…]
Allein: Gottmanns feuerrotes Furzelein?
Es war verloren.
(Vorerst.)
Auf der Flappe steht knapp die Handlung: Immer, wenn es in die Staatsoper oder ins Burgtheater geht, haben der Immobilienjournalist Sengstschmied und der Jungjurist Gottmann ihre feuerroten Furzeleins mit im Gepäck – sie lieben es, brave Bürger fremdzubeschämen.
Es könnte alles so schön sein, doch dem spätpubertierenden Sengstschmied grätscht der Immobilienmakler Nox ins Leben, der der Reiseleiterin Thurowska eine große Summe verspricht, wenn sie schwanger wird: und ausgerechnet in sie muss sich der Schwerenöter S. verlieben.
John Hoewer (EuropaPowerBrutal) merkt dazu an: „Wo Preyer draufsteht, gilt Dezenz als Schwäche. Herrlich kracht und zischt es auch in dieser (un)feinen Wiener Partie, wenn der Dürrenmatt auf Speed seine Gottmanns von der Leine lässt.“
Die Kultur-Kampf-Trilogie abschließend, gilt final zu sagen: Meine Bücher sind direkt via www.heftiger.at zu beziehen (solange der Vorrat noch reicht).
Schönheit im Kampf
Ein Literaturwissenschafter, ein Germanist der Universität Leicester in Mittelengland untersucht mein Œuvre im Kontext der neurechten Literatur (siehe John Hoewer, Volker Zierke et al.). Ihm möchte ich auf diesem Wege ausrichten: Schönheit geht immer gegen die Barbaren an!
Notiz/Memo für mein Poesiealbum: „Schönheit gibt es nur noch im Kampf“, wie der siebte Grundsatz in F.T. Marinettis Zeitenwende-Pamphlet und grundstürzendem Werk des Wandels heißt, „ein Werk ohne aggressiven Charakter kann kein Meisterwerk sein. Die Dichtung muss aufgefasst werden als ein heftiger Angriff auf die unbekannten Kräfte, um sie zu zwingen, sich vor dem Menschen zu beugen.“
Philosophen-Namedropping zum Luftholen vor dem Finale
„Laibach sind keine Antwort – sie sind ein großes Fragezeichen.“ Ich möchte an das Diktum des Philosophen Slavoj Žižek erinnern, der für den slowenischen Kulturexport par excellence – das Künstlerkollektiv Laibach – einen Deutungsversuch unternahm.
Weil wir schon beim Namedropping sind: Jordan Peterson, der „Superstar der Anti-Wokeness“, sagt: „Worauf du zielst, bestimmt, was du siehst.“
Und, um dieses „Lufthol-Kapitel“ vor der unerbittlichen Conclusio mit Friedrich Nietzsche zu schließen: „Ich bin Dynamit“ verkündete der „deutsche Sprengmeister“.
Zeit fürs Alterswerk
Worüber „mein Germanist in Leicester“ über mein Spätwerk in concreto zu berichten haben wird? – wer weiß? Am wenigsten: ich.
Ob der „Fröhlichen Wissenschaft der Alapalogie“, der „Ohrfeigenkunde“ wohl ein weiteres Kapitel hinzugefügt werden wird? Wer weiß das schon? Am wenigsten: ich.
Ob meine Bücher noch Leser finden werden oder ein Fall für den Ikea-Ramsch-Laufmeter sein werden? Wer weiß das schon? Am wenigsten: ich.
Aber klar ist: Es wird irgendetwas geben. Und wenn nicht: wen kümmert’s? Wohl dann: am wenigsten mich.
Hiermit sei der Schlusspunkt meiner mittleren schreiberischen Periode verkündet.
Und so schließt sich der Kreis. „Aufrecht auf dem Gipfel der Welt schleudern wir noch einmal unsere Herausforderung den Sternen zu!“ – ist der letzte Satz von Filippo Tommaso Marinettis Futuristischem Manifest.